(Aus dem Polnischen von Natalie Buschhorn, unter Mitwirkung der Autorin)
Was ist eigentlich „Niebko“ (kleiner Himmel)? Was sind Galiziendeutsche und wo lebten sie? Was macht ein Hitlerjunge, wenn seine Mutter sich in ihren polnischen Knecht verliebt? Wie überlebt man in einer Erdhütte in Kasachstan und was sind „Tschastuschki“? Anworten auf diese Fragen sind im Roman „Kleine Himmel“ von Brygida Helbig zu finden. Es ist die deutsche, etwas modifizierte Fassung des Romans „Niebko“, der 2014 in Polen ins Finale des NIKE-Preises kam. Übersetzt wurde der Roman von Natalie Buschhorn unter Mitarbeit der Autorin.
Willi, der Galiziendeutsche Halbwaise, 1939 in den Warthegau umgesiedelt, kommt nach dem Krieg in das nun polnische Stettin. Er heiratet die ebenfalls aus ihrer ostpolnischen Heimat vertriebene Basia, die 1941 als Sechsjährige von den Sowjets nach Kasachstan verschleppt worden war. Ein neues Leben soll beginnen, aber die Wunden der Vergangenheit lassen sie nicht ruhen. Darüber erzählt Zuzanna, die Tochter der beiden, eine Kriegsenkelin, wie sie im Buche steht. Die transgenerationale Übertragung der Traumata ist ein wichtiges Thema, es geht aber auch darum, aus den Familienwurzeln Kraft zu schöpfen.
Auszüge aus den Rezensionen:
Topographie der Erinnerung
„Das Spiel ‚Kleine Himmel‘ kennt in Polen beinahe jedes Kind: Tief in der Erde werden Blüten, Bonbonpapier und andere ‚Schätze‘ zu kleinen Mosaiken gelegt und vergraben. Das Spiel ist einfach. Es besteht in der Suche nach diesen Schätzen, die jedoch selten vom Erfolg gekrönt ist. Denn das Gedächtnis ist löchrig, es vergisst und verdrängt. (…) Die Protagonistin Zuzanna des neuen Romans von Brygida Helbig begibt sich auf die Suche nach den Mosaiksteinehen der eigenen Familiengeschichte. Familienromane, die ein Panorama des 20. Jahrhunderts mit seinen Traumata bieten, gibt es viele. Doch Kleine Himmel ist aus zwei Gründen besonders: Zum einen ist es seine Sprache, die lebendig und leicht daherkommt, trotz der keineswegs leichten Themen. Manchmal vermutet man hinter den Sätzen fast eine kindliche Freude. Vielleicht ist aber diese Heiterkeit nur ein Weg, um die von den Großeltern und Eitern geerbten Wunden nicht zu spüren. Zum anderen handelt es sich um einen Roman, der die Irrungen der deutsch-polnischen Geschichte im 20. Jahrhundert jenseits des tradierten Narrativs beschreibt. Nichts ist hier ausschließlich schwarz oder weiß, niemand ausschließlich deutsch oder polnisch. Nationale Kategorien greifen zu kurz, um die Protagonisten und ihre Konflikte zu beschreiben.”
Magdalena Gebala, in „Kulturkorrespondenz östliches Europa”, 1407/ September 2019/ S. 20
Der blinde Fleck in den kleinen Himmeln
„Die Suche nach den ‚kleinen Himmeln‘ der Vergangenheit, die tief (…) in der Psyche, in der Mentalität, hinter Tabuvorhängen, Angst und vielleicht Scham vergraben liegen, stellen das Leitmotiv von Brygida Helbigs Roman Kleine Himmel dar. Die Protagonistin – die fast 50-jährige Zuzanna – (…) begibt sich auf die schmerzhafte Suche nach der eigenen Identität und nach ihrer Familiengeschichte. Zuzanna (…) steckt in einer schwierigen Lebensphase, ’sie leidet an Ohnmacht und Trauer‘. (…) Die Erzählung entsteht unmittelbar vor den Augen des Lesers, setzt sich aus verschiedenen Zeitebenen, Zitaten, Erinnerungen und Fakten zusammen. Der Text überschreitet Sprachgrenzen (…), strotzt vor Leben, steht im Kontrast zur Starrheit der etablierten Geschichtsschreibung. (…) Helbig geht mit ihrem Roman einem der ‚blinden Flecke‘ der deutsch-polnischen Geschichtsschreibung nach und macht deutlich, wie verworren die einzelnen Schicksale und wie komplex die Identitäten der heutiger Bewohner Polens sind.”
Monika Wolting, literaturkritik.de
Video-Material
Lesung in Berlin, Parataxe-Festival, Mai 2020
Gespräch zur Lesung in Greifswald, über Geschichte, Heimat, Identität., Friedrich-Ebert-Stiftung, 2019 Deutschland
Lesung in Dresden, Kraszewski-Museum, 2017
Zusatz-Material
Brygida Helbig: Wunde am Fuß. Mein polnischer, deutscher Vater. „Blickwechsel” 2020, 8.
Brygida Helbig: Masken der Frauen. „Guardini akut“ 2020.