Aufzeichnungen einer Dozentin

Schreibanfänge. Inspirationskraft der eigenen Biografie

Damit das Schreiben nicht nur ein Herzenswunsch bleibt, sollten wir bestimmte Entscheidungen treffen und diese möglichst konsequent in die Tat umsetzen.

Ein Date mit sich selbst

Es ist gut, regelmäßig zu schreiben, selbst wenn es nur wenige Zeilen sein sollten. Dafür brauchen wir allerdings die richtigen Voraussetzungen – genug Zeit und einen geeigneten Raum, vielleicht auch ein bisschen Überzeugungsarbeit in unserer Umgebung, damit auch andere merken, dass es uns mit dem Schreiben ernst ist und wir uns nicht davon abbringen lassen. Es kann hilfreich sein, angenehme, unkonventionelle Orte zum Schreiben zu suchen und Verabredungen mit sich selbst zu treffen – wie zu einem Date. Es gibt Leute, die gerne in Cafés oder in der Bibliothek schreiben, andere wiederum an einem See, oder in der eigens dafür vorgesehenen Schreibstube. Folgen wir einfach unserer Intuition und lassen uns auf einen Versuch ein.

Das Unterbewusste mit einspannen

Um in den Fluss des Schreibens einzutauchen, müssen wir nicht nur das Bewusstsein, sondern auch das nicht-lineare, in der Tiefe agierende Unbewusste in unsere Arbeit einspannen, wobei das Unbewusste zuerst zum Einsatz kommt. Erst im zweiten Schritt können wir unsere Einfälle, Notizen und Ideen einer linearen und technischen Bearbeitung durch unser Bewusstsein unterziehen. Wie bahnt man aber dem Unbewussten den Weg, um zu den Quellen der Kreativität vorzudringen, zu den verborgenen Schätzen? Ich möchte hier einige Möglichkeiten dafür aufzeigen, vor allem in Bezug auf das autobiografische Schreiben – für profesionelle oder private Zwecke.

Die innere Schatztruhe öffnen

Es gibt jede Menge Möglichkeiten, unser Gedächtnis zu aktivieren und die lineare Ordnung der Erinnerung durchzubrechen. Um autobiografisch zu schreiben, müssen wir dem Gedächtnis irgendwie helfen, seine Geheimnisse zu enthüllen. Unsere Biografien kann man mit einem Koffer voller Schätze vergleichen. Versuchen wir also, die Schätze hervorzuholen, sie genau zu betrachten, ihnen nachzuspüren. Inspirieren können uns dabei bestimmte Gegenstände, wie Spielzeuge aus unserer Kindheit, aber auch andere Dinge aus verschiedenen Phasen unseres Lebens, die für uns selbst bzw. für unsere Vorfahren oder Angehörige etwas Wichtiges symbolisieren. Es können auch Musikstücke sein („der Sound aus jener Zeit“), die unsere Gefühle von damals wiederaufleben lassen, genauso gut Briefe, Fotos, Filme, Kleidungsstücke oder Dokumente. Inspirieren können uns auch Orte, die mal eine Bedeutung für uns hatten – man könnte sie wieder aufsuchen, um ihre Atmosphäre wieder aufleben zu lassen. Hilfreich können auch Interviews mit Familienmitgliedern sein. Versuchen wir, uns an Familienrituale zu erinnern, daran, wie unsere Familienfeste gefeiert wurden, an typische Situationen mit Familie oder Freunden, die konfliktreichen wie auch die harmonischen. Auch unsere Haustiere oder Bücher, die wir mal gelesen haben, stellen für uns meist einen emotionalen Wert dar und können uns beim Schreiben eine Anregung sein.

Magische Gegenstände der Kindheit

Die Kindheit gilt als die Fundgrube des Schreibens, da man als Kind die Welt auf eine magische Art und Weise erlebt. Nutzen wir also kreativ besonders emotional aufgeladene Wörter und Gegenstände aus unserer Kindheit. Nicht zu überschätzen ist dabei die Bedeutung des Details. Versuchen wir, so nah wie möglich an bestimmte Gegenstände oder typische Situationen heranzukommen („Zoomen“) – sie können uns auf eine wichtige Spur bringen. Ich selbst habe es beim Schreiben meines Romans „Kleine Himmel“ ausprobiert. Zu den wichtigsten Metaphern dieses Romans wurden: der Abakus meiner Mutter, die Sterne auf den Schulterklappen der Uniform meines Vaters, meine sprechende italienische Puppe, die von einem Jungen auseinander genommen wurde, und natürlich unser Kinderspiel „Himmelchen“ oder „Kleine Himmel“ (Schatzsuche), das zum Titel des Romans wurde.

Mit Assoziationen spielen, ein „Himmelchen“ erschaffen

Hilfreich ist es auch, sich an Wende- oder die Höhepunkte des Lebens zu erinnern, an die Schwellen, an unsere immer wiederkehrenden kleinen Dramen und Verhaltensmuster. Eine Hilfe dabei können alte Briefe oder Tagebücher sein. All diese Techniken helfen, die lineare, chronologische Ordnung der Erinnerung durchzubrechen und stattdessen Bilder und Metaphern entstehen zu lassen. Besonders gut geeignet für die Aktivierung des Unbewussten sind Techniken des assoziativen Schreibens bzw. das Freewriting (automatisches Schreiben ohne Zensur. Wir schreiben einfach mehrere Minuten lang alles auf, was nach Ausdruck verlangt, um interessante Themen aus sich herauszuholen). Eine Mindmap wiederum hilft dabei, Assoziationen zu bestimmten Themen zu finden. Eine häufig empfohlene Übung ist, zu Familienangehörigen, Lehrern, Freunden spielerisch zu assoziieren.

Träume, Märchen, Mythen und Archetypen

Träume können natürlich eine besonders ergiebige Quelle der Inspiration sein. Es bringt unheimlich viel, sie aufzuschreiben und ein Traumtagebuch zu führen. Träume liefern oft eine Tiefeninterpretation dessen, was in uns gerade vorgeht. Besonders wichtig sind dabei wiederkehrende Träume. Inspirierend können auch Märchen sein, die wir in der Kindheit liebten, Kinderbücher, die wir gerne gelesen haben, besonders jene mit mythologischer Struktur. Sie können uns helfen, nach Mythen und Archetypen zu suchen, die unser Leben aus der Tiefe bestimmen. Mit welchen Figuren identifizierten wir uns in der Kindheit, mit welchen möchten wir uns heute identifizieren? Für mich selbst war der Mädchenroman „Anne auf Green Gables“ zu einem persönlichen Mythos. Auf seinen Motiven basierte auch mein erster autobiographischer Roman „Pałówa“.

Schmecken, riechen, fühlen

Wenn wir uns auf diese Weise inspirieren lassen, intensiviert sich unser Gedächtnis, wir können das Erlebte buchstäblich schmecken und riechen. Und eben diese Intensität und Sinnlichkeit sind beim Schreiben unerlässlich – die Fähigkeit, die Wirklichkeit mit allen Sinnen zu erleben und zu beschreiben, sie darzustellen, statt einfach nur zu beschreiben.

Ego-Dokumente

Einer großen Beliebtheit erfreuen sich heute Tagebücher. Es gibt viele Tagebucharten, wie z.B. Reisetagebuch oder Lektüretagebuch. Man kann ein Tagebuch auch in Collagenform führen (elektronisch oder in Papierform), es mit Fotos, Zeitungsartikeln, Kino- oder Konzert-Karten befüllen und mit Eindrücken vom Erlebten, Gedichten oder Zeichnungen ergänzen. Fachleute nennen das „Ego-Dokumente“. Das Führen eines solchen Tagebuchs lässt unser Leben bewusster, intensiver und auch langsamer werden. Wir beginnen immer deutlicher zu spüren, wer wir sind (von der erwachten Kreativität ganz zu schweigen).

Persönlichkeit und Identität – Chance auf eine Klärung und Vertiefung

Hans Joseph Ortheil, Professor für Kreatives Schreiben an der Universität Heidelberg und Autor der Publikation „Schreiben über mich selbst“, ist – in Anlehnung an die Ansichten der alten Griechen – der Meinung, dass das Lesen allein der Weisheit nicht unbedingt dienlich und sogar schädlich sei ?, erst das Ordnen und Verarbeiten des Gelesenen bewirkt, dass die Lektüreeindrücke (das gilt übrigens auch für unsere Erlebnisse) zum Stoff werden, aus dem wir unsere Identität kreieren. Das Schreiben eines Tagebuchs oder auch das autobiographische Schreiben kann somit dazu beitragen, dass wir als Persönlichkeit an Konturen gewinnen und unser Leben an Tiefe.

Es lohnt sich also, konsequent zu sein! Doch ohne es zu übertreiben. Das Ganze soll mehr Spiel und Spaß sein als eiserne Disziplin, eine Quelle der Freude und nicht der Qual.

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